Ein aufsehenerregender Fall vor dem Landgericht Mannheim hat die juristische Fachwelt in Bewegung versetzt: Ein 36-jähriger Mann war im April 2024 vom Vorwurf der illegalen Einfuhr von rund 450 Kilogramm Marihuana im Wert von ca. 1,9 Millionen Euro freigesprochen worden.
Die Begründung: Die belastenden Encrochat-Daten seien unter der neuen Gesetzeslage nicht mehr verwertbar. Nun hat der Bundesgerichtshof (BGH) am 30. April 2025 im Verfahren 1 StR 349/24 dieses Urteil aufgehoben und den Fall zur erneuten Verhandlung an eine andere Kammer des LG Mannheim zurückverwiesen.
Hintergrund: Encrochat-Daten und das Fernmeldegeheimnis
Im Zentrum der rechtlichen Auseinandersetzung stand die Verwertbarkeit von Encrochat-Daten – verschlüsselte Kommunikation, die Ermittler im Jahr 2020 über eine internationale Kooperation erhalten hatten. Solche Daten unterliegen dem Schutz des Fernmeldegeheimnisses gemäß Art. 10 GG. Laut Rechtsprechung des BGH aus dem Jahr 2022 dürfen diese Daten nur bei besonders schweren Straftaten und unter Einhaltung der Voraussetzungen des § 100b StPO (Online-Durchsuchung) verwertet werden. Maßgeblich ist hier insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Cannabisreform und ihre Auswirkungen
Mit der Teillegalisierung von Cannabis durch das zum 1. April 2024 in Kraft getretene Konsumcannabisgesetz (KCanG) hat sich die Bewertung des Gesetzgebers hinsichtlich der Schwere solcher Taten grundlegend verändert. Nur noch bei besonders qualifizierten Delikten – wie etwa bandenmäßigem oder bewaffnetem Handeltreiben mit nicht geringer Menge (§ 34 Abs. 4 KCanG) – sind Maßnahmen wie die Online-Durchsuchung zulässig. Der Angeklagte im Mannheimer Fall wurde jedoch lediglich des gewerbsmäßigen Handels (§ 34 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 4 KCanG) beschuldigt, für den das Strafmaß bei drei Monaten bis fünf Jahren liegt.
Das LG Mannheim hatte sich bei der Verwertungsfrage auf die zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung geltende neue Rechtslage gestützt – nicht auf die alte Gesetzeslage im Jahr 2020, als die Daten erhoben wurden. Diese Wertung führte zum Freispruch und zur Gewährung einer Entschädigung für die erlittene Untersuchungshaft.
BGH: Maßgeblich ist die Rechtslage zum Zeitpunkt der Beweiserhebung
Der Bundesgerichtshof stellte nun klar: Für die Beurteilung der Verwertbarkeit solcher Daten ist die Rechtslage zum Zeitpunkt der Beweiserhebung entscheidend – nicht die spätere Gesetzesänderung. Schon der 5. Strafsenat hatte im Januar 2025 in einem ähnlichen Fall (Az. 5 StR 528/24) diese Sichtweise vertreten. Das Urteil des LG Mannheim wurde folgerichtig aufgehoben, soweit es den Freispruch und die Entschädigung betraf.
Fazit für die Praxis
Das BGH-Urteil bringt Klarheit für sogenannte Altfälle: Encrochat-Daten, die vor dem 1. April 2024 erhoben wurden, bleiben in Strafverfahren verwertbar, wenn sie damals rechtmäßig erlangt wurden. Zugleich bleibt die Situation für Ermittlungsbehörden nach der Cannabisreform angespannt. Die Diskussion um eine mögliche Nachschärfung der Ermittlungsbefugnisse dürfte daher weiter an Fahrt gewinnen.
Für Beschuldigte und Verteidiger bedeutet dies: Der Zeitpunkt der Beweiserhebung ist entscheidend. Wer sich auf die neue Gesetzeslage berufen möchte, muss genau prüfen, ob die Ermittlungen bereits unter der alten oder der neuen Rechtslage stattgefunden haben.
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