Unternehmensbewertung bei Pflichtteilsansprüchen: Der Unternehmenswert im Erbfall

Wenn im Erbfall Betriebsvermögen zum Nachlass gehört, wird die Auseinandersetzung um den Pflichtteil schnell zur rechtlichen und wirtschaftlichen Herausforderung. Denn: Der Unternehmenswert spielt bei der Berechnung des Pflichtteils eine zentrale Rolle – und ist gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen nicht so einfach zu ermitteln.

1. Pflichtteilsanspruch: Geldzahlung statt Erbquote

Pflichtteilsberechtigt sind – im Regelfall – die Kinder und der Ehegatte oder die Ehegattin des Erblassers. Ihnen steht die Hälfte des gesetzlichen Erbteils in Form eines Geldbetrags zu. Sie werden keine Miterben, sondern erhalten eine direkte Zahlungsforderung gegenüber dem oder den Erben (§ 2303 BGB).

Für die Berechnung des Pflichtteils ist der tatsächliche Wert des Nachlasses im Zeitpunkt des Erbfalls maßgeblich (§ 2311 BGB). Dazu gehören selbstverständlich auch etwaige Unternehmensanteile oder ganze Betriebe. Der Pflichtteilsberechtigte hat dabei einen umfassenden Auskunfts- und Wertermittlungsanspruch (§ 2314 BGB), auf dessen Grundlage er seinen Anspruch beziffern kann.

2. Warum einfache Bewertungsverfahren nicht ausreichen

In der Praxis der Unternehmensbewertung inzwischen unüblich, ist die Heranziehung des Buchwerts aus der Bilanz oder der Rückgriff auf das sogenannte Stuttgarter Verfahren. Weder der Bilanzwert noch pauschale Bewertungsansätze liefern einen realistischen Unternehmenswert. Entscheidend ist stets der wirtschaftliche Verkehrswert, einschließlich stiller Reserven und des immateriellen Firmenwerts (Goodwill).

Auch das reine Substanzwertverfahren ist bei der Bewertung ganzer Unternehmen oder GmbH-Anteile kaum noch anzuwenden – mit Ausnahme von freiberuflichen Einzelpraxen, bei denen der Geschäftswert eng mit der Person des Inhabers verknüpft ist.

Der Liquidationswert – also die Summe aller Einzelveräußerungswerte – dient lediglich als unterste Bewertungsgrenze und spielt nur dann eine Rolle, wenn eine Betriebsauflösung konkret im Raum steht.

3. Ertragswert als Maßstab

Die Unternehmensbewertung im Pflichtteilsrecht orientiert sich heute überwiegend an Varianten der Ertragswertmethode. Diese Methode spiegelt am besten den Gedanken wider, dass der wirtschaftliche Wert eines Unternehmens im Wesentlichen von den künftig erzielbaren Gewinnen abhängt – also davon, was ein Erwerber realistischerweise mit dem Betrieb erwirtschaften kann.

IDW S1 und DCF – anerkannte Standards bei der Bewertung

Besonders relevant sind in der Praxis die Standards des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW), insbesondere das IDW S1-Gutachten. Auch die Discounted-Cash-Flow-Methode (DCF-Methode) wird zunehmend herangezogen. Sie basiert auf dem abgezinsten zukünftigen Cashflow – also den entnahmefähigen Überschüssen – und stellt damit auf die wirtschaftliche Substanz des Unternehmens ab.

Modifizierte Ertragswertmethode bei inhabergeführten Betrieben

Für freiberufliche Praxen oder inhabergeführte Unternehmen hat sich eine angepasste Form der Ertragswertmethode etabliert: Dabei wird der Durchschnitt der nachhaltig erzielbaren Jahreserträge ermittelt, von dem ein kalkulatorischer Unternehmerlohn abgezogen wird. Diese Methode wird von der Rechtsprechung insbesondere dann anerkannt, wenn der Unternehmenserfolg stark an die Person des Inhabers gebunden ist.

Vorsicht bei steuerlichen Bewertungsverfahren

Das im Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht verankerte vereinfachte Ertragswertverfahren genügt hingegen häufig nicht den zivilrechtlichen Anforderungen an eine belastbare Pflichtteilsbewertung. Es ist pauschal und steuerlich motiviert – für eine faire und gerichtsfeste Bewertung im Pflichtteilsrecht daher meist ungeeignet.

4. Gesellschaftsrechtliche Klauseln und ihre Auswirkungen auf den Pflichtteil

In der Praxis häufig problematisch sind sogenannte Nachfolgeklauseln in Gesellschaftsverträgen. Diese regeln, was mit Gesellschaftsanteilen beim Tod eines Gesellschafters passiert. Zum Schutz der Gesellschaft sehen viele Klauseln vor, dass ausscheidende Gesellschafter oder deren Erben nur eine beschränkte Abfindung erhalten.

Ob ein Pflichtteilsberechtigter solche Beschränkungen akzeptieren muss, ist rechtlich umstritten und bislang nicht höchstrichterlich geklärt. Klar ist: Solche Regelungen können den Pflichtteilsanspruch spürbar schmälern – rechtliche Auseinandersetzungen sind damit vorprogrammiert.

Fortsetzungsklauseln: Wenn der Gesellschaftsanteil nicht in den Nachlass fällt

Eine besondere Form der Nachfolgeregelung ist die sogenannte Fortsetzungsklausel. Sie bewirkt, dass beim Tod eines Gesellschafters die Gesellschaft ohne die Erben fortgeführt wird – der Anteil fällt also nicht in den Nachlass. Das bedeutet: Der Gesellschaftsanteil selbst fließt nicht in die Pflichtteilsberechnung ein.

Allerdings können Abfindungsansprüche der Erben entstehen, die wiederum pflichtteilsrelevant sein können. Zudem können in solchen Fällen Pflichtteilsergänzungsansprüche in Betracht kommen.

5. Latente Steuern bei der Unternehmensbewertung: Minderungsfaktor?

Wird zur Auszahlung des Pflichtteils eine Veräußerung von Unternehmensanteilen notwendig, können erhebliche Ertragssteuern anfallen. Diese sogenannten latenten Steuern können den Unternehmenswert für Pflichtteilszwecke mindern – aber nicht automatisch.

Der Bundesgerichtshof (Urteil vom 13.10.2010, Az. BLw 4/10) stellt bei der Frage, ob diese Steuern zu berücksichtigen sind, auf das konkret zu erwartende „Verwertungsszenario“ ab. Wird eine Veräußerung oder Auflösung des Unternehmens durch die Erben tatsächlich absehbar, ist der Wert um die latente Steuerlast zu reduzieren. Das ist etwa dann der Fall, wenn:

  • der Erblasser die Betriebsauflösung angeordnet hat,
  • die Erbengemeinschaft keine Unternehmensfortführung anstrebt oder
  • ein Verkauf aus wirtschaftlichen Gründen wahrscheinlich ist.

Wird das Unternehmen hingegen fortgeführt, bleibt der volle Ertragswert maßgeblich und die latente Steuerlast bleibt bei der Höhe des Pflichtteilsanspruchs unberücksichtigt.

6. Fazit

Kommt es zum Streit über den Unternehmenswert, ist der Pflichtteilsberechtigte in einer komfortablen Position: Er kann ein Wertermittlungsgutachten gerichtlich durchsetzen – die Kosten trägt in der Regel der Nachlass. Der Erbe ist verpflichtet, ein aussagekräftiges, nachvollziehbares Gutachten in Auftrag zu geben.

Anerkannt sind insbesondere IDW S1-Gutachten, erstellt durch neutrale und qualifizierte Sachverständige wie Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder spezialisierte Rechtsanwälte. Zwar ist keine öffentliche Bestellung erforderlich, doch der Gutachter muss die nötige fachliche Expertise aufweisen.

Wie immer bei Bewertungen bleibt Spielraum für Auseinandersetzungen – etwa über die Qualifikation des Gutachters oder die gewählte Bewertungsmethode. Dennoch bildet ein fundiertes Gutachten das Rückgrat jeder Pflichtteilsauseinandersetzung im Zusammenhang mit Unternehmenswerten.

Weitere Beiträge

Buchen Sie jetzt direkt Ihren Termin

Terminbuchung wird nicht korrekt angezeigt? Direkt zur Termbuchung